[gadi14] Right to Be Forgotten?

Eine Suchmaschine ist ein Archiv. Dem widerspricht der Europäische Gerichtshof nun.

(Crosspost meines siebten Artikels aus dem Lehrveranstaltungs-Blog von Gesellschaftliche Aspekte der Informationstechnologie.)

“Das Internet vergisst nicht!”

Mit diesen Worten beginnt in den letzten Jahren so manche Einführung über die Gefahren und Risiken des Internets. Gemeint ist damit meist der Kontrollverlust über die Daten, die man selbst oder andere über sich online stellt. Einmal online, bekommt man Inhalt nur mehr schwer aus dem Internet (meist ist damit das Web gemeint). Selbst wenn man es schafft, den eigentlichen Inhalt zu löschen (oder zumindest zu “depublizieren”/verstecken), ist die Möglichkeit, dass bereits jemand (ob ein Computer oder ein Mensch) eine Kopie angelegt hat - der Google Cache lässt Grüßen.

Schwieriger gestaltet sich die Sache schon bei Inhalten, die andere über einen veröffentlicht haben. Werden dabei keine Persönlichkeits- und Urheberrechte verletzt (oder steht der Server im Ausland), kann man nur schwer etwas dagegen tun. Doch selbst wenn die veröffentlichten Inhalte wahr sind und das veröffentlichende Medium diese rechtmäßig veröffentlich hat, kann es vorkommen, dass man diese entfernt haben möchte (zum Beispiel weil die veröffentlichten Tatsachen nicht mehr aktuell sind). 

Ich war jung und hatte kein Geld

Was geht es Menschen, die meinen Namen googeln, an, dass 1998 einmal etwas von mir gepfändet werden musste, weil ich pleite war? Das hat sich 2010 auch der Spanier Mario Costeja González gedacht, und Google geklagt (die Details stehen im Urteil unter Punkt 14). Das Verfahren ging durch alle Instanzen nach oben und landete schlussendlich vorm Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hat schließlich letzte Woche das Urteil verkündet und Costeja González recht gegeben. Google muss jetzt alle Links auf die betreffenden Zeitungsartikel aus dem Suchindex entfernen.

Die Details können bei US-Jus-Professor Daniel Solove so wie am Blog von Andreas Krisch (Mitglied des österreichischen Datenschutzrates) nachgelesen werden.

Internet, vergiss mein nicht!

In letzter Zeit wurde der Ruf nach einem “Recht auf Vergessen” immer lauter. Vor allem in Datenschutz- und Netzpolitk-Kreisen wurde ein solches Recht gefordert. Das EuGH-Urteil ist nun insofern spannend, da es sagt, dass die geltende EU-Datenschutzverordnung so ein “Recht auf Vergessen” (in eingeschränkter Form) bereits beinhaltet.

"[…] the problem isn’t the continuing online existence of the information you want to hide. It’s how easy it is to find." (Eric Posner)

Es bleibt jedoch ein Drahtseilakt zu entscheiden, welche Informationen nun aus einem Suchindex gelöscht werden müssen, und welche noch im Interesse der Öffentlichkeit sind. Wie US-Jus-Professor Eric Posner schreibt wurden im Fall Costeja González die Informationen zwar rechtmäßig veröffentlich (sogar auf Geheiß eines Gerichts), bieten jedoch heute keinen Wert mehr für die Öffentlichkeit. Doch wer entscheidet über solche Aussagen? Kann man es Suchmaschinenbetreibern zumuten, jeden Fall individuell zu Beurteilen, oder würden diese solchen Anträge einfach stattgeben, um sich längere Prozesse (im Zweifel vor Gericht) zu sparen? Anderseits würde in so einem Fall die Qualität der Suchergebnisse sinken, womit sich die Betreiber selbst schaden würden.

Zensur?

Ein Kritiker des “Recht auf Vergessen” ist der Harvard-Professor Jonathan Zittrain. Er kritisiert, dass das Urteil schwammig ist, und nicht genau definiert, was denn nun gelöscht werden sollte. Des weiteren ist nicht klar, ob der betroffene Inhalt nur aus dem lokalen Such-Index (zB Google Spanien) gelöscht werden muss, EU-weit, oder weltweit.

Außerdem hebt er hervor, dass das Urteil das Entfernen von unliebsamen Ergebnissen (und somit Zensur) ermöglicht. Da das Urteil die (automatisierte) Verarbeitung von personenbezogenen Inhalten durch Suchmaschinen betrifft, und nicht generell Links auf Inhalte oder gar die eigentlichen Inhalte, kann hier nur schwer von Zensur gesprochen werden. Zwar kann man argumentieren, dass Inhalte, die nicht gefunden werden können, quasi nicht existieren. Daher wird es ganz darauf ankommen, wie die Suchmaschinenbetreiber mit Anträgen auf Löschung umgehen.

"Critics of the European right to be forgotten need to explain why they disagree with the balance between free expression and privacy that the law reached until the digital era—when the barrier of the physical search almost always provided adequate protection for privacy. Shouldn’t new laws and rulings, like the one this week, give people back the privacy that technology has taken away?" (Eric Posner)

Zusammenfassend muss man Google’s Eric Schmidt wohl recht geben, wenn er schreibt, dass “Personal Identity” im Internet eines der großen Spannungsfelder in den nächsten Jahren sein wird.

Fazit

Es bleibt also auf der einen Seite abzuwarten, wie mit den Anträgen umgegangen wird. Auf der anderen Seite ist es beruhigend, wenn man leichtsinnigen Jugendlichen (und sich weiter weiterentwickelnden Erwachsenen) nicht Facebook und co. verbieten muss, und trotzdem bei deren Bewerbungsgespräch eine “weiße Weste” (also Suchergebnisse) zu haben.

Abschließend darf man sich jedoch schon fragen, wie solche “Reputations-Probleme” überhaupt entstehen, und vielleicht eine Gesellschaft wünschen, in der es der zukünftigen Chefin egal ist, was man am Samstag mit wem unternommen hat, in der alle wissen, dass man mal jung war, und in der der neue Vermieter nicht in Ohnmacht fällt, wenn er erfährt, dass man auch mal Fehler gemacht hat.

18.05.2014